Es gilt das gesprochene Wort

Rede von Frau Staatsministerin Carolina Trautner anlässlich des Festaktes zu 100+1 Jahren Landesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen in Bayern e.V. am 15. Juni 2021

„Der LVkE war immer schon am Puls der Zeit tätig“

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ihnen allen – hier in München und vor den Bildschirmen – ein herzliches Grüß Gott!

Hundert plus eins: Was für ein Jubiläum und was für eine große Freude und Ehre, dabei zu sein und mit zu Ihnen feiern. Wir haben allen Grund dazu. Es war ein Meilenstein, als vor über einhundert Jahren der LVkE gegründet wurde. Er könnte so viele Geschichten aus hundert und einem Jahr erzählen.
Gratulation und herzlichen Glückwunsch zu diesem ganz, ganz besonderen Jubiläum.

Umbrüche, Katastrophen, zu viel menschliches Leid, Hoffnung, Mut, Erneuerung, Aufbruch: Die vergangenen hundert Jahre hatten alles. Und gerade jetzt, in diesen schweren Corona-Zeiten, spüren wir wieder, was historische Verantwortung bedeutet. Es ist sehr wichtig, dass wir gemeinsam alles dafür tun, dass wir uns einmal an diese Zeit als Anfang von etwas Neuem erinnern – als eine große Chance, die uns zu einem neuen Miteinander gebracht hat.

Der LVkE war immer schon am Puls der Zeit tätig.
Damit spiegelt sich in ihm auch die soziale Geschichte unseres Landes. Aufgrund der Veränderungen im Sozialrecht haben sich auch die Hilfen zur Erziehung mit den Jahren verändert: hin zu mehr ambulanten und teilstationären Angeboten. Die Anforderungen steigen ständig und der LVkE beweist immer wieder aufs Neue ein feines Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen – gerade weil er den Anspruch hat, die Basis des katholischen Glaubens mit fachlichen Herausforderungen in Einklang zu bringen. Besonders beeindruckend finde ich dabei, dass Sie immer vorausdenken, was die jungen Menschen, die Ihnen anvertraut sind, und ihre Familien wirklich brauchen. Das hat Sie zu dem gemacht, was Sie heute sind: Ein Interessenvertreter der jungen Menschen und ihrer Familien und ein moderner Verband mit einer klaren ethischen Haltung für die Menschen in Bayern. Aktuell vertritt der LVkE über 147 Mitgliedseinrichtungen aus allen Disziplinen der Erziehungshilfen: Was für ein starker Partner und eine wirkungsmächtige Stimme in der bayerischen Sozialpolitik!

Der LVkE hat in diesem Jahr ein wichtiges Thema in den Fokus gerückt – ein Thema, das auch mir persönlich besonders am Herzen liegt: die Stärkung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Es ist wichtig, dass wir auf Kinder und Jugendliche zugehen, ihnen zuhören, ihre Ideen wertschätzen und sie in Entscheidungen einbinden. Junge Menschen sollen so oft wie möglich selbst zu Wort kommen. Denn sie sind Expertinnen und Experten in eigener Sache. Wir können viel voneinander lernen, wenn wir einander zuhören. Gerade der direkte Austausch erweitert unseren Horizont. Ich habe daher Ende April meine erste Kinder- und Jugendkonferenz veranstaltet, bei der junge Menschen zu den Themen, die ihnen am Herzen liegen, zu Wort gekommen sind. Die Gespräche haben mich sehr inspiriert und gezeigt: Kinder und Jugendliche wollen sich mit ihren Ideen und Anliegen einbringen und haben klare Vorstellungen davon, wie es in Zukunft noch besser laufen kann. Partizipation kann und muss überall dort stattfinden, wo junge Menschen ihre Zeit verbringen: in der Familie, in der Kita und in der Schule, in der Freizeit, im öffentlichen und digitalen Raum und natürlich auch in den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. Ein wunderbares Beispiel für gelungene Partizipation ist die Jahreskampagne des LVkE „Frag doch mal uns!“. Ich bin sehr gerne Schirmherrin dieses überaus wertvollen Projekts. Die Öffentlichkeitskampagne stellt genau die Wünsche der jungen Menschen in den Mittelpunkt und trägt dazu bei, dass unsere Gesellschaft das Entscheidende verinnerlicht: wie wichtig die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind und wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche bei der Ausgestaltung der Hilfen zu beteiligen und zu fragen.

Gerade jetzt kommt es darauf an, dass wir auf die Belange der jungen Menschen aufmerksam machen und für sie eintreten. Familien, die bereits vor Corona vielfach belastet waren, erfahren jetzt noch größere Belastungen. Finanzielle Schwierigkeiten, Konflikte innerhalb der Familie und seelische Belastungen – die Pandemie verschärft die Sorgen und Nöte der Menschen. Sie haben in den vergangenen Monaten die Hilfe und Unterstützungsangebote der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der Erziehungsberatungsstellen, verstärkt in Anspruch genommen. Und die psychischen Belastungen und Hilfebedarfe steigen weiter wegen Corona. Das heißt für uns: Wir müssen vor allem die Beratung für Familien in Belastungssituationen stärken. Hilfe erhalten: Das muss selbstverständlich und so einfach wie möglich sein. Es ist Aufgabe
der Kommunen, bedarfsgerechte Jugendhilfestrukturen sicherzustellen.

Passgenaue Hilfen vor Ort für Kinder und ihre Familien sind dringend erforderlich. Und das erfordert, dass die Jugendämter eine qualifizierte Jugendhilfeplanung vornehmen – gemeinsam mit den freien Trägern und auch in Abstimmung und Ergänzung mit Leistungen aus anderen Hilfesystemen. Bei dieser wichtigen Investition in die Zukunft unserer Kinder stehen wir an der Seite unserer Kommunen. Wir unterstützen sie bei der Sicherstellung nachhaltiger Hilfestrukturen wie kein anderes Land.
Deswegen hat der Ministerrat im März die Ausweitung des EB-Förderprogramms beschlossen. Der weitere Stellenausbau kann mit unserer Unterstützung sofort beginnen. Ziel ist, dass die EB-Hauptstandorte bis 2022 eine zusätzlich geförderte Stelle erhalten. Mit diesen zusätzlichen Stellen wollen wir die Beratungsstrukturen stärken und vor allem die niedrigschwellige Erreichbarkeit verbessern: mit aufsuchenden Hilfen und Sprechstunden an Orten, an denen sich Kinder und ihre Familien aufhalten – zum Beispiel an Kitas, Familienstützpunkten, Kliniken und Frauenhäusern.

Die Corona-Pandemie hat sehr deutlich gemacht, wie wichtig der gemeinsame Schulterschluss der unterschiedlichen Fachdisziplinen ist und wie wichtig er sein wird, um Kinder und Jugendliche und ihre Familien nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen und vor allem die psychischen Belastungen, die Corona verursacht hat, zu bewältigen. Dabei ist nicht nur die Kinder- und Jugendhilfe gefordert, sondern vor allem auch andere Hilfesysteme wie der Gesundheitsbereich, die Behindertenhilfe und die Schule.

Ich wünsche mir, dass die Bedarfsplanungen der unterschiedlichen Hilfebereiche noch viel besser aufeinander abgestimmt und die Bedürfnisse der Kinder, Jugendlichen und ihrer Familien insgesamt noch stärker berücksichtigt werden. Hierzu müssen die Kommunalplanungen und andere Planungsprozesse vor Ort noch besser aufeinander abgestimmt werden, zum Beispiel die Jugendhilfeplanung, Sozialraumplanung, Planungen der Gesundheitsversorgung, Behindertenhilfe, und Schulplanungen.

Kompetent, einsatzstark, vertrauensvoll: Ich bin sehr froh, dass wir so gut mit dem LVkE zusammenarbeiten. Der LVkE verfügt über die Expertise, die Erfahrung und die Ressourcen, um professionelle und zeitgemäße Hilfe zu leisten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen beim LVkE!

Sie schreiben die Erfolgsgeschichte, die wir heute feiern, in der Tradition Ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger in beeindruckender Weise fort. Die Kinder, Jugendlichen und Familien – heute wie vor hundert Jahren – können sich auf Sie verlassen: Wer Hilfe sucht, findet sie bei Ihnen. Dafür möchte ich mich bei Ihnen bedanken: Ein herzliches Vergelt’s Gott für die tatkräftige und wertvolle Arbeit, die Sie bisher in all den Jahren geleistet haben und hoffentlich noch viele Jahre leisten werden!

Herzlichen Glückwunsch noch einmal zu Ihrem Jubiläum und viel Kraft und Gottes Segen für die kommenden hundertein Jahre!